Ich möchte den Blick auf die Rezension von Barbara Kaiser in der Barftgaans richten: Zu lesen hier:
„Es ist was es ist“, war sich Erich Fried sicher und widersprach der Vorsicht und Vernunft, die vor Unglück, Schmerz, Angst und Lächerlichkeit warnten. „Um glücklich zu sein, braucht man nur eins – man muss lieben, lieben mit Selbstverleugnung“, schrieb Lew Tolstoi ins Tagebuch. Er hat es wohl bald anders gesehen.
Und damit sind wir mittendrin in einem Abend, den die Freie Bühne Wendland ins Neue Schauspielhaus Uelzen brachte. Unter dem Titel „Ist das die Liebe?“ summierten Caspar Harlan und Kerstin Wittstamm Tagebuch- und Brieftexte des Ehepaares Sofja Andrejewna Tolstaja und Lew Nikolajewitsch Tolstoi und stellten sie in einer szenischen Lesung vor Auge und Ohr der interessierten Zuhörer.
Fotos: Barbara Kaiser
Sofja – 16 Jahre jünger als ihr Mann und erst 18 Jahre alt bei der Eheschließung – verbrannte ihre Tagebücher und Schreibversuche, bevor sie mit Lew, dem bereits bekannten 34-jährigen Schriftsteller, das gemeinsame Leben begann. Sie folgte ihm aus der Stadt nach Jasnaja Poljana, dem Landgut des Dichters, wo sie sich bald vor Langeweile unwohl zu fühlen begann. Woran auch 16 Schwangerschaften – nur acht der Kinder wurden erwachsen – nichts änderten.
Der Kauf eines Stadthauses in Moskau besserte die Situation vorübergehend, es wird sich aber zeigen, dass die Tolstois viel zu unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen ans Leben haben. Sinnlichkeit und Leidenschaft halten sie über die vielen Jahre zusammen. Aber sie quälen sich auch gegenseitig, verzweifeln aneinander.
Tolstoi kam aus einem wilden, exzessiven Leben: „Betrachte die Gesellschaft von Frauen als ein notwendiges Übel und halte dich von ihnen fern“, notierte sein Tagebuch als Vorsatz. Und: „ Ich bin verloren, wenn ich mich nicht bessere. 1500 Rubel verspielt….“ Sofja dagegen bezog ihre Vorstellungen der Ehe wohl aus romantischen Romanen und hatte sich einen „reinen“ Mann gewünscht, der nur sie liebte und liebt; keinen, der bereits eine Gonorrhoe auszukurieren hatte. Dieser Tolstoi war für sie wohl eindeutig der Falsche. Auch seine sozialen, gesellschaftspolitischen Überlegungen vermochte Sofja nicht zu teilen. „Für mich ist Eigentum Sünde! Für dich die Voraussetzung für dein Leben“, warf der Schriftsteller seiner Frau vor. Sofja jagte dem Leben nach, Lew mühte sich mit Reformpädagogischem, um Bildung fürs Volk – wenigstens für seine Bauern – durchzusetzen.
Caspar Harlan und Kerstin Wittstamm versuchten, die Turbulenzen und Antagonismen dieses Ehelebens auf die Bühne zu stellen. Die treffend ausgewählten Textstellen waren eine gute Grundlage dafür. Manchmal allerdings geriet einiges in ihrem Spiel zu infantil, zum Beispiel der Anfang als frisch Verliebte. Außerdem ist es zu bedauern, dass die eigene Schreibtätigkeit Sofjas keine Erwähnung fand. Zwar würdigen die Darsteller ihre Lektorats- und verlegerische Tätigkeit - dass Sofja Tolstaja aber – quasi als Erwiderung auf Tolstois „Kreutzersonate“ – im Jahr 1893 ihr Buch „Eine Frage der Schuld“ schrieb (es erschien erst 1994, also 101 Jahre später!), bleibt unterbelichtet. Und es genügt auch keineswegs, Tolstois soziale Ideen als Frömmelei abzutun!
Recht fatal war obendrein die falsche russische Intonation, was in der Betonung des Namens „Tolstaja“ begann, sich über „Turgenjew“ fortsetzte und die die Stolperer beim Wort „Jasnaja Poljana“ krönten. Und wenn es eine russische Seele gibt, woran nicht zu zweifeln ist, denn das große, weite Land macht etwas mit seinen Bewohnern – so fehlte die genauso.
Informativ war der Abend ohne Zweifel. Schauspielerisch ließ er in Sachen Differenzierung Wünsche offen. Trotzdem aber bleibt solch Unterfangen sehr begrüßenswert angesichts des derzeit üblen Russland-Bashings auf allen Ebenen.
Barbara Kaiser – 15. Oktober 2018